Freitag, 5. September 2008

Die Uni hat begonnen.

Freitag, 5. September, noch immer keine Praktikum gesichert, am Horizont jedoch einzelne rettende Inseln in Sicht. Das könnte mein Logbucheintrag heute sein, wenn ich ein Seemann wäre. Ich bin aber Student und schreibe deswegen etwas ausführlicher. Das letzte Wochenende war "typical American". Baseball war angesagt. Washington Nationals gegen Atlanta Braves. Nur ganz kurz: Das war das erste und letzte Mal, dass ich beim Baseball war, dennoch war es faszinierend zu sehen, wie es bei dieser Sportart auf den Raengen zu geht und zu erfahren, dass das Klischee des Baseballfans mit einem Hut aus Nachos mit Salsa-Dip in der Krempe doch nicht ganz so wahr ist. Dennoch, wer zum Baseball ins Stadion geht, macht das nicht um sich diesen langweiligen Sport anzusehen, sondern um zu essen, um zu essen, um zu essen und um Bier zu trinken. Hot-Dogs, Nachos, Pizza, Burger, Chilli. Die Familie in der Reihe vor uns hat alles ausprobiert. Ja, so ein Spiel dauert drei Stunden, aber muessen es wirklich sechs Gaenge sein und danach noch eine Jumbo-Packung Erdnuesse? Die vergangenen Tage waren äußerst ereignisreich. Der Unterricht hat endlich begonnen, die Praktikumssuche neigt sich dem Ende entgegen und in der Präsidentschaftswahlkampf nimmt langsam Fahrt auf.


Montag war hier noch Feiertag: "Laborday", was soviel heißt, dass alle arbeiten müssen, außer die die es sich leisten können nicht zu arbeiten. Ich hab den Tag genutzt und war mit einem Komillitonen in einem der Smithonian Museums, dem National Air and Space Museum. Freier Eintritt und eine große Vielfalt an Luft- und Raumfahrtausstellungen. Alles etwas altbacken zwar von der Aufmachung her, jedoch dennoch sehr interessant und informativ. Landekapseln von Apollo 11 und 13, eine V2 Rakete, die Spirit of St. Louis, Militärflugzeuge, alte zivile Frachtflugzeuge, dazu jede Menge Textinformation auf Schautafeln und Bilder. Leider hatten wir nur zwei Stunden Zeit bis zur Museumsschließung und so musste auf so manche Detailinformation verzichtet werden. Das ist allerdings nicht weiter schlimm, denn das große Gesamtbild der Ausstellung hab ich mitbekommen: Die US-Luftfahrtgeschichte ist eine Geschichte voller Erfolg und Stolz. Wie eigentlich alles in den USA.


Dienstag hat dann die Uni begonnen. Das Thema der ersten Stunde war "Ethics in Journalism. Do public persons deserve private lifes?" Unglaublich passend dazu war dann am Wochenende der "Skandal" um die unverheiratete, schwangere Tochter der republikanischen Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin. Dürfen Reporter in das Leben der Tochter eindringen? Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf die Glaubwürdigkeit der Mutter? Wie steht es um ihre politischen Ansichten als Pro-Life Aktivistin und Vertreterin kreationistischen Gedankenguts und Gegnerin von Sex unter Teenagern? Darf das Leben der Tochter die Positionsglaubwürdigkeit der Mutter beeinflussen? Ist die Schwangerschaft der Tochter im Endeffekt vielleicht sogar wahlentscheidend, darf sie das sein, ist es ein Skandal, oder eben doch einfach Privatsphäre? Das thema wurde hitzig diskutiert in der Klasse und es zeichnet sich ab, das Amerikaner doch eher dazu tendieren, solche Skandale auszuschlachten. Während Gerhard Schröder vier Ehefrauen hatte, Präsident Sarkozy mit einer Frau zusammen ist, die beispielsweise mit Mick Jagger im Bett war und hierzulande prinzipiell kein Hahn danach gekräht, werden in den USA schon kleinste familiäre Unstimmigkeiten von den Medien und den politischen Gegnern genutzt um Wählerstimmen zu angeln. Es ist ein harter Kampf und die Tatsache, dass solche Dinge hier eine große, wenn nicht sogar übergroße Rolle spielen, unterscheidet Politik hier doch sehr von unserem "europäischen" Politikstil. Nach der Classdiscussion sind wir dann auf einen Fieldtrip gegangen. Das Motto: "Washington beyond the monuments". Wie und was ist Washington abseits von Politik und Wirtschaft? Was macht Washington als Stadt aus. Um darüber etwas zu erfahren, haben wir Ben's Chilli Bowl besucht, eine Fast-Food-Restaurant, dass letzte Woche 50 jähriges Jubiläum gefeiert hat und somit die Geschichte Washingtons seit 1945 beinahe komplett mitgemacht hat.



Guestspeaker waren der Geschäftsführer des Ladens und ein bekannter Lokaljournalist,
Harry Jaffe, die über das Leben in Washington, Rassentrennung, Politskandale, Entwicklungen im Schulbereich, Straßenbrände und und und erzählten. So ist Washington erst seit nicht allzu langer Zeit ein sicherer Ort. Noch vor 15 Jahren war die Stadt in zwei komplett gegensätzliche Teile gegliedert. Im Nord- und Südwesten die reiche weiße Mittel- und Oberschicht, im Nord- und Südosten, die arme, kriminelle, drogensüchtige schwarze Unterschicht. Erst seit einigen Jahren spielt der Anacostia-River nicht mehr eine große Rolle im Bezug auf "Racial Segregation" die Nachwirkungen sind jedoch immer noch sichtbar und man sollte es als Weißer möglichst vermeiden, nachts durch den Südosten der Stadt zu ziehen. Tagesabschluss war das Anschauen eines Films ("Shattered Glass") über das Leben als junger Journalist und Moral und Ethik im Journalismus allgemein.


Mittwoch war wieder Uni angesagt. Allerdings nur Field-Trips und Vortraege (auf einer amerikanischen Tastatur gibt es leider keine Umlaute). Morgens waren wir bei Tom Rosenstiel im Gebaeude des Pew Reasearch Center. Er hat eines der Buecher geschriben, mit dem wir hier arbeiten ("Elements of Journalism") und hat uns einen Vortrag ueber akuelle Entwicklungstendenzen im Journalismus und den Wandel des journalistischen gehalten. Ist Journalismus heute noch das selbe wie vor 30 Jahren? Wo liegen die Unterschiede? Die Essenz des wirklich spannenden Vortrags war, das die Aufgabe des Journalisten heute natuerlich eine andere ist als frueher. Die Arbeitsmethoden, die Ethik und die gesellschaftliche Stellung sind immer noch aehnlich, doch waehrend der Journalist frueher als Gate-Keeper fungiert hat, der darueber entscheidet, was in die Nachrichten kommt und was nicht, ist er heute eher ein Dienstleister, der den Menschen dabei hilft sich mit Themen moeglichst intensiv auseinander zu setzen und die Informationsflut zu bewaeltigen. Er bringt Ordnung ins Informationschaos und gibt den Buergern die Moeglichkeit, sich strukturiert in Sachverhalte einzuarbeiten um auf diese Weise zu wohlueberlegten Entscheidungen zu kommen. Das war in Kuerze das was er gesagt hat. Natuerlich war es insgesamt noch viel mehr und vor allem detailreicher, es waere an dieser Stelle jedoch zu langwierig (und wahrscheinlich auch zu uninteressant fuer die Leser) alles nocheinmal auszubreiten. Im Anschluss an den Vortrag haben wir eine kleine Tour durch die Stadtviertel am Dupont Circle und Adams Morgan gemacht. Dies sind die Viertel, in denen sich eher das kulturelle Leben abspielt. Hier wohnen Kuenstler, Schauspieler, es gibt jede Menge Bars und Gallerien, alternative Buch- und Musiklaeden und vor allem auch die Architektur unterscheidet sich signifikant von den grossen Marmorgebauden des Regierungsviertels. Hier stehen kleine bunte Reihenhaeuser nebst grossen Glaspalaesten. Auf Gruenflaechen und unter Baeumen schlafen die Homeless-People neben Familien beim Nachmittagspicknick. Alles geht hier gemuetlicher zu und ist weniger steif als in der Naehe des White House. Sogar die Alkoholsuechtigen Homeless auf der Strasse sind freundlicher und vor allem einfallsreicher. Man bekommt eine kleine Tanzvorfuehrung und ein Staendchen gesungen, nur damit man einem alkoholkranken Schwarzen vor dem Liquor-Store 25 Cent gibt. Alles sehr gegensaetzlich und irgendwie auch verstoerend, Menschen zu sehen, die morgens auf offener Strasse Morgengymnastik neben ihrem "Bett" machen. Nachmittags waren wir zu einem Vortrag am Main Campus im Kays Spiritual Life Center. Gastredner war Thomas R. Pickering, einer der bedeutensten US-Diplomaten der letzten 50 Jahre. Botschafter der USA in Russland, Indien, Israel, El Salvador, Nigeria und Jordanien, sowie bei der UN in new York. Staatssekretaer und engster Aussenpolitikberater von Henry Kissinger und Namenspatron eines Stipendienprogramms der US-Regierung fuer angehende Diplomaten. Ein hochinteressanter und wichtiger Mann, der seinen Vortrag ueber die aktuelle aussenpolitische Situation der USA keinen weniger pompoesen Namen haette geben koennen als "Foreign policy advices to a new president - Aussenpolitische Anweisungen fuer den neuen Praesidenten"! In gut einer dreiviertel Stunde ueberflog er die wichtigsten Eckpunkte US-amerikanischer Aussenpolitik und deren Herausforderungen im 21. Jahrhundert. Der mittlere Osten, China, Russland, Umwelt, Energie, Europa, internationale Organisationen. Ein Demokrat durch und durch und mit dem Charme eines alten weitgreisten Mannes lieferte er eine brutale Abrechnung mit dem Politikstil der Buchregierung in den letzten acht Jahren.

Gestern war nichts besonderes. Ein Job-Interview und ein Besuch in der National Gallery of Art. Michelangelo, Rafael, da Vinci, Kuenstler des Mittelalters, Duerer, aber auch Picasso, Monet, Manet. Dazu ein Skulpturengarten, unter anderem mit Arbeiten von Roy Lichtenstein. Leider hab ich es aus Zeitgruenden wieder nur geschafft einen Teil des Museums zu besichtigen. Der Ost-Fluegel, mit moderner Kunst kommt irgendwann in den naechsten Tagen dran. Vielleicht heute Nachmittag. Bilder werden demnaechst noch nachgereicht.

Zum Abschluss noch die Rede von Barack Obama von der Democratic National Convention. Wahrscheinlich konnte man sie in Deutschland nicht in voller Laenge verfolgen, daher hier der YouTube-Clip. Die Rede von John McCain folgt bald.




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